ein Beitrag von Susanne Steinberg vom 18.11.2018.
In Deutschland gibt es jedes Jahr eine große Zahl von Unternehmensgründungen,1 von denen nur sehr wenigen ein dauerhaftes Wachstum bis hin zur Größenordnung „mittelständisches Unternehmen“ gelingt. Auf dem Weg dahin brauchen sie (neben viel Glück …) gute Instrumente. Beispielsweise die vom AKWB zur Verfügung gestellte Toolbox. Für mich stellte sich nun die spannende Frage, inwieweit junge wachsende Unternehmen von einer „Wissensbilanz-Made in Germany“ profitieren könnten.
Um der Frage auf den Grund zu gehen, verfasste ich 2017 eine Masterthesis mit dem Titel: Ressource „Wissen“ als strategischer Erfolgsfaktor in jungen Wachstumsunternehmen -Erstellung einer Wissensbilanz am Beispiel des Callcenters care4as.
Das Unternehmen wurde Ende 2014 im Kreis Schleswig-Flensburg mit vier Mitarbeitern gegründet. Der Gründer wollte sich von bestehenden Callcentern abgrenzen und hatte sich bewusst für einen ländlichen Standort entschieden. Gründungsvision war, durch ein familiäres Arbeitsklima in Kombination mit gelebten Unternehmenswerten motivierte Mitarbeiter zu generieren und diese langfristig zu binden, um dadurch eine bessere Kundenorientierung zu erzielen. Die Konkurrenz räumte dem Callcenter keine großen Erfolgsaussichten ein.
Im Sommer 2017 wurden bereits 74 Mitarbeiter beschäftigt und die Organisationsstrukturen mussten der Größe des Unternehmens angepasst werden. Insbesondere für junge Unternehmen, bei denen in der Start- und Aufbauphase die Organisationsstruktur eher einfach und der/die Gründer aktiv im operativen Geschäft tätig sind, können diese Veränderungen wie bei der care4as eine Krise auslösen. Neue Planungs- und Kontrollsysteme wurden notwendig, parallel dazu nahmen Führungsaufgaben in ihrer Komplexität zu. Die aus eigenen Reihen rekrutierten Führungskräfte waren mit den steigenden Anforderungen überfordert. Der notwendige Formalisierungsprozess konnte dem raschen Wachstum nicht standhalten. Externe Führungskräfte zu finden, die nicht zu sehr durch andere Callcenter bzw. deren Personalpolitik geprägt waren, gestaltete sich schwierig. Das bis dahin familiäre Arbeitsklima litt unter den Veränderungen.
Der Impuls, das Thema Wissensbilanzierung strukturiert anzugehen, war das kurzfristige Ausscheiden dreier Führungskräfte.2 Die daraus entstandene Wissenslücke verdeutlichte den unmittelbaren Zusammenhang von intellektuellem Kapital im Sinne von kompetenten, motivierten und branchenerfahrenen Mitarbeitern und einem langfristigen Unternehmenserfolg.
Auf der Gründungsvision aufbauend wurden Geschäftsprozesse sowie jene Aktivitäten identifiziert, die ein qualitatives Wachstum und zukünftigen Geschäftserfolg möglich machen. Bei der care4as waren es:
Prozesse: Organisationsstrukturen; Wissenstransfer; Arbeitsanweisungen, Abläufe, Routinen/Standards; Dienstleistungsqualität.
Personal: Zuständigkeiten und Kommunikation; Kompetenzen entwickeln (Qualifizierung); Teamentwicklung fördern.
Darauf aufbauend wurde der Bilanzierungsbereich festgelegt:
▪ der notwendige Formalisierungsprozess unter Berücksichtigung
vorhandener Strukturen
▪ die Sicherstellung der Finanzierung
▪ die Personalgewinnung,-entwicklung und -bindung.
Die von mir moderierte Wissensbilanz bot der care4as eine einfache Methode der Selbstanalyse. Die Auswertung der Wissensbilanz zeigte Defizite in der Führungs-, Ablauf- und Aufbauorganisation auf. So fand beispielsweise bislang keine unternehmens-übergreifende wissensbasierte Kommunikation statt. Zudem fehlten klar definierte Zuständigkeiten sowie die Festlegung von erforderlichen Führungskompetenzen. Ein gemeinsam erarbeiteter Maßnahmenkatalog schaffte eine größere Akzeptanz für die notwendigen Veränderungen im Unternehmen.
Das große Vertrauen und die enge Zusammenarbeit zwischen Team und der Geschäftsführung erwies sich während der Workshops als großer Gewinn. Bestehende Organisationsstrukturen wurden kritisch hinterfragt und der Geschäftsführer versuchte im Gegenzug die Gesamtsituation so transparent wie möglich darzustellen.
Die für mich größte Herausforderung während der Workshops war, den aus allen Bildungsbereichen kommenden Mitarbeitern, die Wissensbilanz und deren Inhalte so zu vermitteln, dass wir damit arbeiten konnten. Einen großen Vorteil sehe ich darin, dass ich wie die meisten Teilnehmer nicht mehr ganz jung bin. Ich habe zwei Kinder großgezogen und auch während meines Studiums beständig gearbeitet. Das hat mir zum einen Respekt verschafft, zum anderen konnte ich mittels meiner Lebenserfahrung, sowie meinem beruflichen Werdegang auf Augenhöhe mit den Teilnehmern kommunizieren.
Die Auswertung der Wissensbilanz hat gezeigt: „das junge Unternehmen in einer frühen Lebensphase bereits von einer Wissensbilanzierung zur Bewältigung einer nicht unüblichen Wachstumskrise profitieren können“. Denn die in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Lebenszyklus- und Wachstumsmodelle zeigen, dass durch ein unkoordiniertes Wachstum sowie mangelnder oder nicht ausreichender organisatorischer Anpassung an die steigenden Anforderungen, existenziell bedrohliche Situationen für ein Unternehmen entstehen können. Neben einer Hilfestellung zur Aufdeckung einer Formalisierungskrise, unterstützt die „Wissensbilanz-Made in Germany“ die Identifikation von intellektuellem Kapital und ist zugleich eine Art Unternehmens-Check. Bei der care4as wurde überprüft:
▪ ob die Gründungsvision noch Bestand hat,
▪ welche Rolle der Gründer einnimmt und ob er Verantwortung abgibt, sodass sich das Unternehmen weiter entwickeln kann,
▪ ob notwendige Veränderungen in die Wege geleitet werden, um die Ressource Wissen gezielt in die strategische Planung zu integrieren,
▪ ob die im Unternehmen zur Verfügung stehenden Kompetenzen (Wissens-unterschiede gegenüber den Konkurrenten) ausreichend sind, um daraus einen Wettbewerbsvorteil zu erwirken.
Relevanz das Thema weiterzuverfolgen, sehe ich in der Tatsache, dass Unternehmensgründungen ein wesentlicher Motor für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Volkswirtschaft sind. Bei Überwindung aller Anfangshürden und Krisen werden langfristig neue Arbeitsplätze geschaffen. Die care4as hat seine Formalisierungskrise überwunden und zählt heute mit seinen 140 Mitarbeitern und einem zweiten Standort zu einem stetig wachsenden mittelständischen Unternehmen. Spannend wäre eine Folge-Wissensbilanz. Es würde sich zeigen inwieweit Handlungsempfehlungen als auch der Maßnahmenkatalog zur Überwindung der Krise beigetragen haben. Weiterhin wäre interessant zu sehen, wo das Unternehmen heute steht.
Eine Sensibilisierung bezüglich routinemäßig durchgeführter Wissensbilanzen könnte dazu führen, dass junge Unternehmen das Instrument „Wissensbilanz-Made in Germany“ zukünftig zur Erreichung ihrer Ziele und Kommunikation mit den Kapitalgebern, ähnlich dem Businessplan, in der Startphase einsetzen werden.
Neugierig, wer den Text verfasst hat? Dann bei bei Xing oder Linkedin nachschauen:
https://www.xing.com/profile/Susanne_Steinberg4/cv https://www.linkedin.com/in/susanne-steinberg-142b97144/
1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183869/umfrage/entwicklung-der-absoluten-gruenderzahlen-in-deutschland/
2 Bei den Führungskräften handelte es sich um den Projektleiter (Kündigung innerhalb der Probezeit) sowie zwei Teamleiterinnen, die seit Unternehmensgründung bei der care4as angestellt waren.
Download: Beitrag_Steinberg_Können junge Wachstumsunternehmen